1. Natürlich muss ich bei deinem Blogtitel „glücklich scheitern“ danach fragen: Muss man bei dem Versuch, allen Ansprüchen gerecht zu werden unweigerlich scheitern und wenn ja, wie scheitert man dann wenigstens glücklich?
Sagen wir so: ich glaube, in unserer Gesellschaft ist die Messlatte für Mütter (für Väter gilt das derzeit noch nicht so sehr) ganz schön hoch. Insbesondere für die Frauen wie mich: lange Ausbildungszeiten, gute Qualifikation, beruflich ambitioniert und trotzdem mit dem Wunsch nach Kindern. Das am besten dann gleichzeitig, so mit Anfang 30. Ja, ich glaube, wenn man dann nicht die nötigen Ressourcen hat, wird man scheitern. Ressourcen sind hier strukturelle wie individuelle Faktoren wie: Geld und Einkommen (auch des Partners und der Eltern), Kinderbetreuung, berufliche Rahmenbedingungen (un/befristeter Vertrag, Teilzeitoption, Einstellung des Chefs/ der Chefin zu Müttern) undundund.
Das Schlimme ist, dass die Mütter glauben, das Scheitern sei ihr individuelles Versagen und nicht das Zusammenwirken dieser vielen Faktoren. Insbesondere, weil immer mal wieder Supermütter in den Medien präsentiert werden, die das eben irgendwie hingekriegt haben, mit vier Kindern und dem Managementposten. Ohne dass mal jemand hinguckt, was ihr geholfen hat, das auch zu schaffen.
2. Wo wird gerade bei Ansprüchen sind: Welche Ansprüche und Ziele sollte man sich als berufstätige Mutter ruhig setzen (lassen) und welche sind aus deiner Erfahrung völliger Mumpitz?
Tja, auch das ist individuell, denk ich. Für mich persönlich halte ich es so: Eigene, selbstgesetzte Ansprüche und Ziele gehen klar, wenn aber andere Ansprüche an einen haben, sollte man sich gut überlegen, ob man die erfüllen will. Leider lässt sich ja oft auch nicht trennen, was die eigenen und die Ansprüche der Anderen sind. Mir selbst fällt auch noch oft auf, wie ich mir Steine in den Weg lege, statt einfach zu tun, was ich für Richtig halte.
3. In einem deiner Artikel zitierst du “Anstrengung ist kein Maßstab”. Tatsächlich ist oft zu lesen, dass Frauen beruflich versuchen durch Fleiß und Anstrengung zu glänzen und sich dann wundern, wenn sie dafür keine Anerkennung bekommen. Müssen Frauen also alle ein bisschen mehr auf Macho und Blender machen?
Jein, das kann auch nach hinten losgehen. Denn Frauen wird es selten positiv ausgelegt, wenn sie auf ihr Recht beharren oder Anerkennung für ihre Leistung fordern. Der schmale Grat, auf dem Frauen in einer männlich geprägten Berufswelt wanken: Nicht zu ‚männlich’, aber auch nicht zu ‚weiblich’ rüber kommen. Aber generell würde ich schon sagen, dass weniger Bescheidenheit den meisten gut stünde.
4. Es gibt geteilte Meinungen darüber, ob und wie man die Zeiten der Kindererziehung in eine Bewerbung schreibt. Angenommen, du würdest über die Qualifikationen berichten wollen, die du durch dein Leben mit Kind erlangt hast. Welche wären das?
Oh, gute Frage, vor allem, weil ich ja grade tatsächlich Bewerbungen schreibe und momentan da die Tatsache, ein Kind zu haben, völlig raus lasse. Aber zu der Frage: In keinem anderen bisherigen Job habe ich so viel Geduld und Selbstbeherrschung gelernt! Ich meine, wo lässt man sich sonst anschreien, treten, hauen und bleibt dabei ruhig (haha)? Mein Tagesrhythmus wird mir vom Kind vorgegeben, wenn ich grade mal sitze um einen Kaffee zu trinken oder ins Internet zu schauen, wer hängt da an meinem Bein? Will sagen: schwierige Chefs und Kunden sind mir inzwischen ein Leichtes. Garantiert ist auch meine Risikoabschätzungskompetenz gewachsen: Das Kind steht auf dem Küchenstuhl? Es rennt in Richtung einer Schaukel, auf der ein 4jähriger wilde Akrobatik vollführt? Stoppen oder machen lassen? Das lässt sich garantiert auch auf die Risikoabschätzung im Nahen Osten anwenden. Oder so.
5. Eine Mutter sagte mal: „Kinder und Karriere kann man nicht vereinbaren. Die kann man höchstens addieren.“ Welche Formel hast du für dich gefunden, damit deine Work-Life-Balance mit „angefangener Promotion und angefangener Großfamilie“ funktioniert?
Ha, eine Formel wär toll! Und Work-Life klingt so, als ließe sich die Work von dem Life trennen – dabei erlebe ich das im Alltag nicht so.
Ich übe mich auch hier in Geduld, und vermute, dass mal das Eine, mal das Andere im Vordergrund stehen wird. Momentan kann ich nicht abschätzen, was in nächster Zeit wahrscheinlicher ist: einen guten Job zu finden, meine Promotion fertig zu machen, oder ein zweites Kind zu bekommen. Grade habe ich einen befristeten Teilzeitjob, die Promotion liegt auf Eis und Kind Nummer zwei wartet auf bessere Rahmenbedingungen. Wenn ich einen tollen, unbefristeten und gut bezahlten Job finde, würde mein Partner vielleicht reduzieren, bis die Kinderbetreuung von anderer Seite sicher gestellt ist. Aber das sind so viele „wenns“ auf einmal, wir werden sehn…
Wo kann man dich im Netz überall finden, wenn man mehr von dir lesen möchte und gibt es etwas, das du unbedingt noch loswerden möchtest?
Tja, auf meinem Blog www.gluecklichscheitern.wordpress.com natürlich. Bei facebook (www.facebook.de/gluecklichscheitern) ein wenig tagesaktueller. Auf twitter (www.twitter.com/dr_indie) meine 140 Zeichen zu Allem. Auf pinterest (www.pinterest.com/glcklchschtrn) mache ich grad meine ersten Schritte. Und wer dann immer noch nicht genug hat, schaut mal bei meinem tumblr (www.doktorindie.tumblr.com) vorbei.
Tja, möchte ich noch was loswerden? Jaa, die Rückenschmerzen, vom vielen Kind-Rumtragen und Sorgen-Mitsichrumschleppen! J
Vielen Dank, liebe Melanie, für deine ehrlichen und ausführlichen Antworten und die Einblicke.
Und alles Gute für den Rücken…
Oh wie schön, eine meiner liebsten Blog-Entdeckungen der letzten Monate (auch wenn Uneinigkeit darüber herrscht, wann und wo wir eigentlich aufeinander trafen).
Ich mag Melanies Einstellung zu den Dingen, ihr Konzept des „glücklichen scheiterns“ hat mir bei meiner eigenen Selbstverortung im Kinder- und Karrierechaos in den letzten Monaten sehr geholfen, sie liest sich sehr erfrischend und man hat beim Lesen sofort das Gefühl, als habe einem jemand ordentlich Druck von den Schultern genommen.
Wobei ich sagen muss, dass ich die Frage nach den Vätern wirklich ambivalent erlebe – auf der einen Seite gebe ich Melanie recht, sie sind nicht in dem Maße mit paradoxen Ansprüchen konfrontiert, wie wir es oft sind. Auf der anderen Seite finde ich, dass wir es manchmal sogar oft besser haben, weil „scheitern“ bei uns eine Option ist und weil wir viel weniger schräg angeschaut werden, wenn wir uns für etwas weniger Beruf und etwas mehr Familie entscheiden. Auf Vätern lastet meiner Ansicht nach oft der tonnenschwere Druck der wirtschaftlichen Sicherheit der Familie und zwar selbst dann, wenn Eltern sich die Verantwortung für das finanzielle in Wirklichkeit gerecht teilen.